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"Manche Menschen denken, hier steigt nachts um 12 dunkler Rauch aus dem Schornstein"

Von: Ute Klasen und Jennifer Rotter

 

Über Frauenhäuser kursieren fast so viele falsche Informationen wie über häusliche Gewalt. Wir haben deshalb mit einer gesprochen, die es wissen muss: Die Gestalttherapeutin und Diplom-Sozialarbeiterin Ute Klasen arbeitet seit 22 Jahren im Frauen- und Kinderschutzhaus der AWO Konstanz. Sie erzählt davon, wie die Gewalt in Partnerschaften zunimmt - und wie Frauenhäuser den Betroffenen in ein gewaltfreies Leben helfen.

1. Liebe Frau Klasen, Sie arbeiten schon sehr lange in einem Frauenhaus. Was sind die typischsten Vorurteile oder Falschinformationen, die Menschen über Frauenhäuser haben?

Oh, da gibt es einige!

  • Frauen, die ein Frauenhaus aufsuchen, werden da noch einmal in besonderer Weise gegen Männer aufgehetzt.
  • Die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern sind Hardcore-Feministinnen, arbeiten zu 100% parteilich, auch dann, wenn die Frau im Unrecht steht.
  • Frauen, die ein Frauenhaus aufsuchen, werden dort von den Mitarbeiter*innen mit allem versorgt. Sie müssen nichts mehr selbständig tun, die Mitarbeiter*innen erledigen alles für sie.
  • Wenn eine betroffene Frau ein Frauenhaus aufsucht, muss sie sich auf jeden Fall von ihrem Partner trennen.
  • Wenn eine Frau ein Frauenhaus aufsucht, muss sie bei der Polizei gegen den Täter eine Anzeige erstatten.
  • Frauenhäuser sind männerfeindlich

Manche Menschen denken, hier steigt nachts um 12 dunkler Rauch aus dem Schornstein und Hexen auf Besen reitend steigen in die Lüfte empor. Oder Frauen tanzen nachts bei Vollmond im Reigen mit langen Röcken durch den Regen. Es ist viel unspektakulärer.

2. Was passiert wirklich in einem Frauenhaus? Wie sieht der Alltag aus?

Das Frauenhaus ist ein Schutzhaus. Hier kann eine von Gewalt betroffene Frau mit ihren Kindern vorübergehend unterkommen, um Schutz vor weiterer Gewalt und Bedrohung zu erhalten. Das normale Leben, so es denn für den Zeitraum des Frauenhausaufenthalts normal zu nennen ist, geht weiter. Aber ohne Angst und ohne Gewalt.

Das normale Leben, so es denn für den Zeitraum des Frauenhausaufenthalts normal zu nennen ist, geht weiter. Aber ohne Angst und ohne Gewalt.

Die betroffene Frau lebt im Frauenhaus ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben. Es gibt in dieser Zeit sehr viel zu tun, das macht eine relativ streng durchgetaktete Alltagsstruktur notwendig. Die Frau versorgt sich und die Kinder selbständig, wie sie es vorher auch getan hat. Frau hat in der Regel ein eigenes Zimmer mit ihren Kindern, Küche und Sanitärräume als Gemeinschaftseinrichtung, manchmal auch eigene kleine Appartements mit Kochnische und Bad. Es muss eingekauft, gekocht und geputzt werden wie in einem eigenen Haushalt. Zusätzlich müssen zügig die finanzielle Situation geklärt, Geld beschafft, Konten eröffnet, Kindergeldfragen geklärt werden. Die Kinder werden in Schulen oder Kitas angemeldet. Ummeldungen, ausländerrechtliche Fragen, medizinische Fragen, evtl. strafrechtliche, unterhaltsrechtliche und umgangsrechtliche Fragen müssen ebenfalls entschieden werden. Das alles findet auf der Handlungsebene statt. Gleichzeitig durchläuft die Frau einen mannigfaltigen psychischen Prozess, der je nach Intensität und Dauer der Gewalterfahrung und der aktuellen Bedrohung mehr oder weniger belastend ist. Traumafolgestörungen oder Anpassungsstörungen lassen die notwendigen Arbeiten auf der Handlungsebene ins Stocken geraten und fordern ihren Raum. Zu Recht! Dennoch geht der Alltag weiter. Gespräche mit Therapeut*innen, Gespräche in den Schulen und Kitas, Gespräche mit dem Jugendamt, der Anwältin, Familiengerichtsverfahren und Umgangsregelungen müssen bewältigt werden. Wohnung suchen, Wohnung einrichten, Arbeitsstelle suchen, sich am neuen Ort etablieren und die Gewalt vom Ex-Partner zukünftig so gut wie möglich zu verhindern suchen. All das findet in regelmäßigem Austausch mit den Mitarbeiterinnen vor Ort statt. Bewohnerinnenrunden, Putzkontrollen, Konfliktbewältigungen im Haus, Kinderaktionen finden ebenfalls statt.

Wir kommen also gar nicht dazu, nachts bei Vollmond im Garten Reigen zu tanzen oder auf unseren Besen zu reiten…

3. Frauenhäuser gibt es in Deutschland seit fast 40 Jahren. Was hat sich in der Zeit rund um Frauenhäuser verändert?

Ganz wichtig finde ich erstmal die Frage, was geblieben ist: das Frauenhaus als ein Ort des Schutzes und der Zuflucht für Frauen und ihre Kinder vor Gewalt und Bedrohung! Und heute immer noch so notwendig und wichtig wie vor 40 Jahren. Danke allen Gründer*innen von Frauenhäusern und deren geistigen Vorreiterrinnen. Deutlich verändert hat sich seitdem konzeptionell in den Frauenhäusern die Arbeit in Richtung Stärkung im Empowerment: Frauen ermächtigen, ihr Leben zu gestalten. Ihnen etwas zutrauen, von ihnen fordern, helfen, aus der Opferrolle rauszukommen.

Die Arbeit in Frauenhäusern hat sich konzeptionell verändert: Frauen ermächtigen, ihr Leben zu gestalten. Ihnen etwas zutrauen, von ihnen fordern, helfen, aus der Opferrolle rauszukommen.

Geändert hat sich sicher auch die Nachfrage. Frauen sind heute wesentlich informierter, wissen um die Existenz der Frauenhäuser und wenden sich an uns, wenn sie in Not sind. Geändert hat sich ganz sicher auch die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Schutzeinrichtung. Frauenhäuser werden heute allgemein als kompetente Anlaufstellen für Fragen um das Thema Häusliche Gewalt im Alltag nachgefragt. Von Anwält*innen, Ärzt*innen, Klinikmitarbeiter*innen, Lehrer*innen, Polizist*innen, Jugendämtern und anderen Fachstellen. Geändert hat sich auch das Wissen bei Frauen darum, dass Gewalt in der Beziehung nicht akzeptierbar ist. Dass es nicht normal ist, geschlagen und gequält zu werden, und dass das Recht auf ihrer Seite ist, wenn Frau die Gewalt verlassen möchte. Das sind sehr positive Veränderungen. Verändert hat sich aber auch das Ausmaß und die Intensität der Gewalt. Es ist nicht mehr nur die sprichwörtliche Ohrfeige, wegen welcher eine Frau uns anruft. Die Verletzungen sind häufig brutaler, mannigfaltiger. Knochenbrüche, Kopfverletzungen, Messerstiche, brutale Vergewaltigungen, Würgen bis zum Urinabgang sind nicht ungewöhnlich. Wiederholt brutale Schläge gegen den Körper, viele bereits verheilte Knochenbrüche deuten auf ein oft jahrelanges Martyrium hin. Aborte oder Schädigungen von Neugeborenen durch brutale Gewalt gezielt gegen den Bauch einer schwangeren Frau kommen nicht selten vor. Geändert hat sich auch die Gewalt durch die sozialen Medien. Besonders im Bereich sexueller Gewalt, durch Aufnahmen gegen den Willen der Frau bei sexuellen Handlungen, die dann im Internet verbreitet werden.

Es geht nicht, dass die Frau mehr Wissen als der Mann hat, überhaupt mehr Kenntnis über alltägliche Vorgänge wie Finanzen, Erziehung etc., einen besseren Job hat.

4. Welche Männer werden ihren Partnerinnen gegenüber gewalttätig?

Vielleicht ist es die gewalttätige Biographie vieler Männer, die Konfliktbewältigung ihres Vaters auch nur mit Gewalt kennengelernt haben. In ihrem Handwerkskasten gibt es nur das Werkzeug der Gewalt. Vielleicht ist es auch mangelndes Selbstbewusstsein. Es ist dann nicht ertragbar, wenn eine Frau einen eigenen Willen hat, eigene Lebensvorstellungen. Es geht nicht, dass die Frau mehr Wissen als der Mann hat, überhaupt mehr Kenntnis über alltägliche Vorgänge wie Finanzen, Erziehung etc., einen besseren Job hat. Dieses vermeintliche Herrschaftswissen muss mit Gewalt verhindert werden. Ganz sicher aber sind es Männer, die dem gesellschaftlichen Mainstream der Vormachtstellung des Mannes in der Gesellschaft oder den misogyn patriarchalen Gesellschaftsformen gerne folgen. Auch bei uns. Gesellschaftlich hat sich an diesem Gedankengut noch nicht wirklich viel geändert. Es gibt bei uns weiterhin zu wenig Verständnis für sexuelle Belästigung, es gibt zu viel gesellschaftlich anerkannte Werbung mit sexistischem Inhalt; der Gender Pay Gap wird viel und lange diskutiert, aber nicht verändert, die familiäre Rolle der Frau wird nach wie vor zementiert, wenn es auch deutliche Verbesserungen gibt. Aber nicht deutlich genug und nicht schnell genug. Männer, die diesem Gesellschaftsbild folgen, fürchten möglicherweise um ihren Machtverlust und wollen mit Gewalt die alten Verhältnisse aufrechterhalten.

Eine etwas neue Rolle spielt der sogenannte Blender. Nach außen eine vollkommen perfekte Familie vorzeigend, ausreichend Einkommen, soziale und berufliche Anerkennung, aber im Kern ein Familienzerstörer und Gewalttäter gegenüber Frauen, manchmal auch Kindern. Auch Kinderschutzeinrichtungen und Jugendämter sind aufmerksam geworden auf Väter dieser Art. Sie scheinen ohne Fehl und Tadel und alles erreicht zu haben, innerlich jedoch stagnieren sie in ihrer persönlichen Reife und leben ihre Macht in der Gewalt gegenüber ihrer Familie aus.

5. Warum bleiben Frauen bei gewalttätigen Männern?

Vielleicht ist es auch hier die opferbereite Biographie vieler Frauen, die als Mädchen gelernt haben, man widerspricht nicht. Geschlechtsspezifische Erziehung ist auch heute noch ein gern praktiziertes Erfolgsmodell. Nicht selten haben diese Frauen auch Gewalterfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie. Es gibt auch Frauen, die interpretieren es als  eine vermeintliche Stärke, die Gewalt auszuhalten. Manchmal aus religiösen Gründen, manchmal als ihre Stärke gegenüber dem gewalttätigen Ehemann. Häusliche Gewalt ist ein Prozess, der schleichend beginnt und die Zerstörung des Selbstbewusstseins zum Ziel hat. Und die Isolation. So können betroffene Frauen sich nicht mehr vorstellen, in der Lage zu sein, selbst handelnd ihrem Leben eine Wendung zu geben. Die Gewalt durch Weggang zu durchbrechen. Sie haben keine Ansprechpartner*innen mehr, die ihnen eine Rückmeldung geben oder sie unterstützen. Frauen in gewalttätigen Familien warten auch oft, bis die Kinder groß sind, dann gehen sie allein in ein Frauenhaus und trennen sich anschließend vom gewalttätigen Partner. Die Kinder sind dann von der Trennung nicht mehr betroffen. Hinzu kommt, dass in fast jeder Armutsstatistik alleinerziehende Frauen mit mehreren Kindern die am meisten von Armut betroffene Gruppe in der Gesellschaft bildet. Dieses Schreckensbild haben Frauen vor Augen, wenn sie darüber nachdenken, den gewalttätigen Partner zu verlassen. Alleinerziehende bekommen keine Wohnung, keine familienfreundliche Arbeit. Da wählen sie manchmal das für sie kleinere Übel.

6. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um Häusliche Gewalt einzudämmen?

Auf jeden Fall mehr Prävention! Mehr Aufklärung, auch über Zahlen und Häufigkeit von häuslicher Gewalt z.B. bei Erzieher*innen, Lehrer*innen, die häufig noch mittelschichtsorientierte, harmonische Familienbilder vor Augen haben. Mehr Aufklärung über Vorgehensweisen, wie man helfen kann. Gewährleistung der Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft, unbedingte Begegnung auf Augenhöhe in allen Bereichen. Deutliche Ächtung und Sanktionierung häuslicher Gewalt in der Justiz. Hier enden die meisten Strafanträge ohne Folge. Bessere Ausbildung der Polizei zu diesem Thema.

Ausbau der Hilfsangebote für betroffene Frauen, vor allem eine länderübergreifend verlässliche Finanzierung betreffend. Fortbildungen in Elternschulen, bei Erzieher*innen und Lehrer*innen zum Thema Geschlechterrollenerziehung. „Vorbild“haftes Verhalten in der Familie. Mütter und Väter in unterschiedlich wechselnden Rollenbildern.

7. Was kann ich selbst tun, wenn ich merke, dass eine Freundin oder Nachbarin betroffen sein könnte?

Nicht wegschauen. Ansprechen. Ja, trauen Sie sich, aber nur wenn die Frau alleine bei Ihnen ist und mit so viel Wertschätzung und Offenheit, wie Ihnen möglich ist. Geben Sie Informationen weiter: Telefonnummern von Frauenhäusern, Beratungsstellen zu diesem Thema. Vertrauen braucht Zeit. Geben Sie nicht gleich auf, aber drängen Sie auch nicht. Die betroffene Frau hat das Recht, ihre eigene Entscheidung zu treffen. Versuchen Sie jedoch nicht, zwischen den Partnern zu vermitteln. Haben Sie auch immer Ihre eigene Sicherheit im Blick.

Vielen Dank für das Gespräch!

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