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09.09.2021 | Artikel

„Ein Wechsel hin zu einer Politik der Familienzusammenführung“

Von: Interview: Thomas Heser

 

Interview über den Familiennachzug von Geflüchteten mit Daniel Mader vom AWO Kreisverband Berlin - Mitte.

Daniel Mader berät seit fünf Jahren geflüchtete Menschen in unterschiedlichen Einrichtungen und Unterkünften des  AWO Kreisverbands Berlin-Mitte. Derzeit arbeitet er mit drei weiteren Kolleg*innen im AWO Beratungszentrum Mitte.

Die meisten seiner Ratsuchenden kommen aus Eritrea, Äthiopien, Gambia, Guinea-Bissau und dem Senegal. Die Beratungsschwerpunkte sind neben dem Asyl- und Aufenthaltsrecht das Dublin-Verfahren, der Familiennachzug und die Aufenthaltsmöglichkeiten durch nachhaltige Integration, wie beispielsweise eine Ausbildung.

Herr Mader, wie hat für Sie die Corona-Pandemie die Beratung verändert?

Corona hat das komplette Arbeitsleben auf den Kopf gestellt. Viele Abläufe mussten geändert werden. Nichts war eigentlich so wie es vorher mal war. Es hat vor allem am Anfang eine große Unsicherheit reingebracht, weil die Beratung eben davon lebt, dass sie in einem engen Kontakt mit Ratsuchenden stattfindet. Es ist vor allen Dingen eine Beratung, in der es wichtig ist, ein Vertrauen aufzubauen und das kann man eigentlich nur über einen persönlichen Kontakt zu den Menschen, die zu einem kommen. Deshalb hat uns das alles vor eine große Herausforderung gestellt. Ich konnte erstmal nicht ins Büro fahren, hab dann zwei bis drei Wochen nur von zu Hause aus gearbeitet. Wir haben uns aber ziemlich schnell selbst organisiert und gesagt, wir müssen uns jetzt als Beratungsteam strukturieren und neu orientieren und haben uns eigentlich praktisch unsere eigenen Strukturen aufgebaut, um eben mobil beraten zu können. Die Beratung ist dann am Anfang vor allen Dingen in Online-Beratung übergegangen, wir haben dann auch viel ausgetestet mit Videokonferenzen, etc. Das hat auch alles okay funktioniert, allerdings muss ich sagen, hat es eben dahingehend die Beratung verändert, dass dieses Vertrauensverhältnis einfach nicht mehr so da war. Für die Leute, die ich schon länger in der Beratung hatte, war das erstmal kein größeres Problem, aber vor allen Dingen in Bezug auf neue Klient*innen hab' ich schon gemerkt, dass es einfach viel schwieriger ist, den Leuten zu vermitteln, wer ich eigentlich bin, für wen ich eigentlich arbeite und was meine Tätigkeitsfelder sind, und dass sie mir vertrauen können - dass ich eben unabhängig und parteilich bin. Das war am Anfang gar nicht so einfach.

2. Welche Erfahrungen haben Sie mit Einschränkungen im Kontakt mit Behörden gehabt?

Ich glaube, genauso, wie wir am Anfang große Einschränkungen hatten und uns erstmal an die Situation gewöhnen mussten, mussten sich auch die gesamten Behörden erstmal mit der neuen Situation zurechtfinden. Man hat einfach gemerkt, dass dort eine große Unsicherheit herrschte. Viele Behörden haben dann, gerade in der Anfangszeit, radikal zugemacht. Das war für die Ratsuchenden ein Riesenproblem, weil sie nicht mehr den Zugang zu der Ausländerbehörde, dem Gesundheitssystem oder den Leistungsträgern hatten. Da hat man schon gemerkt, dass der Ansturm auf die Beratungsstellen nochmal enorm in die Höhe geschossen ist und vor allen Dingen nochmal ganz, ganz andere Fragen im Mittelpunkt standen. Gar nicht so sehr mehr die Fragen, die sich um Asyl- und Aufenthaltsrecht drehen, sondern vor allem viele sozialrechtliche Fragen. Auch, wenn das eigentlich ein Themenbereich ist, den ich nicht abdecke, habe ich das dann doch zu dieser Phase auch vermehrt gemacht, da ich wusste dass diese Leute zurzeit keine andere Anlaufstelle haben. Da ging es viel darum, für die Leute Kontakt mit den Behörden aufzunehmen, Termine auszumachen und Dinge abzuklären, weil es für sie eben viele schwieriger ist, eine E-Mail zu schreiben oder bei den Behörden anzurufen. Ich habe dabei gemerkt, dass die Behörden überlastet sind, aber gleichzeitig gewillt waren, zum Teil auch unkompliziert zu helfen, weil sie einfach wussten, dass es für alle gerade eine Ausnahmesituation ist.

3. Können Sie mir etwas über Ihren Schwerpunkt Familiennachzug erzählen?

Dadurch dass ich die Sprachgruppe Tigrinya anbiete, also Menschen berate aus Eritrea, ist es so, dass ich eben sehr schnell mit dem Thema Familiennachzug zu tun hatte. Die meisten Menschen aus Eritrea fliehen vor dem lebenslangen Militärdienst. Das gilt für Männer und für Frauen, allerdings sind Frauen, wenn sie Kinder haben, in der Regel davon ausgeschlossen. Deswegen sind so viele männliche Geflüchtete in Deutschland, aber auch in Europa anzutreffen. Die Menschen fliehen von der Diktatur, von der Unterdrückung, Viele vor der Folter, und finden hier in Deutschland Schutz. Die Schutzquote ist zurückgegangen, ist aber immer noch sehr hoch - knapp 90% der Leute bekommen einen Schutzstatus. Diese Menschen mussten ihre Familie schweren Herzens zurücklassen. Für viele ist dies aber auch die einzige Alternative gewesen, weil sie gesagt haben, „auch als ich in Eritrea gelebt habe, habe ich praktisch meine Familie nie gesehen, weil ich immer nur im Militärdienst war“. Denn wenn man den Militärdienst ableistet, bekommt man nur etwa einmal im Jahr, manchmal sogar nur alle zwei Jahre, mal Urlaub, wo man die Familie für eine kurze Zeit sehen kann und dann wieder zurückmuss. Das ist eine enorme Belastung für die Familie. Dadurch bin ich auf den Themenbereich Familiennachzug gekommen. Es ist natürlich auch eine rechtliche Herausforderung, sich die Voraussetzungen anzuschauen, immer zu erklären, im Einzelfall alle Unterlagen anzuschauen und zu prüfen. Es ist vor allem eine Sisyphos-Arbeit , sich wirklich jedes einzelne Dokument anzuschauen, durchzugehen, abzugleichen, zu gucken, welche Unterlagen noch fehlen, die Kommunikation mit den Botschaften zu übernehmen, die wirklich nicht einfach ist.

Es ist vor allem auch eine sehr emotionale Arbeit, weil die Leute natürlich sehr betroffen sind. Es ist das Eine, ob ich vor Krieg geflohen bin, oder selber Folter und Misshandlungen erfahren habe, aber es ist noch etwas anderes, wenn ich weiß, dass ich meine Familie zurücklassen musste, meine engsten Familienmitglieder, und praktisch tagtäglich in Angst um sie hier in Deutschland leben muss. Die meisten kommen zu mir und sagen, „es ist schön, dass ich hier in Sicherheit bin, aber ich bin im Kopf immer noch bei meinen Familienangehörigen“. Es ist vor allen Dingen diese Herausforderung dem gerecht zu werden, weil die Ansprüche, bzw. Erwartungen der Ratsuchenden manchmal sehr hoch sind.

Generell muss man sagen, die Menschen, die aus Eritrea fliehen, werden in der Regel als GFK-Flüchtlinge anerkannt, also als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention - als politische Flüchtlinge. Und das ist tatsächlich auch so. Die Ausreise aus Eritrea ist illegal und deshalb kann man das auch als politischen Akt verstehen. Allerdings bekommen in den letzten Jahren trotzdem immer mehr Menschen nur noch den subsidiären Schutz, einen etwas schlechteren Schutzstatus. Der Familiennachzug zu subsidiären Schutzberechtigten hat sich verschlechtert, da er eingeschränkt wurde. Aber generell muss man sagen, dass ich vor allen Dingen Menschen berate, die als Flüchtling nach der GFK anerkannt wurden. Diese Menschen haben einen Rechtsanspruch, ihre Familien nach Deutschland holen zu dürfen. Die Realität sieht allerdings anders aus. Die Verfahren dauern sehr lang, die Familien sind schon, wenn die Person nach Deutschland kommen, in der Regel jahrelang von ihren Familienmitgliedern getrennt. Durch die langen Visaverfahren verlängert sich die Familientrennung nochmal erheblich. 

Als Voraussetzung um ihre Familie nach Deutschland zu holen, müssen die Personen zum einen das Familienverhältnis nachweisen. Also, nachweisen, dass sie verheiratet sind, um ihre Ehepartner:innen nach Deutschland zu holen. Und eben nachweisen, dass sie sorgeberechtigt sind, um die Kinder nachzuholen. Das ist eine sehr große Hürde für Menschen aus Eritrea, denn Eritrea ist ein Land, das nicht die deutschen Standards hat, wenn es darum geht, Dokumente auszustellen. Das Urkundenwesen ist zum Teil rudimentär. Es verändert sich zwar, aber nur sehr langsam. Und die meisten Leute haben keine offiziellen, staatlichen Dokumente, sondern die meisten Leute haben nur kirchliche Dokumente, das heißt kirchliche Heirats- und Taufurkunden. Das wird in der Regel von den Botschaften als Nachweis nicht anerkannt, weil die Botschaften dann sagen, wir können das nicht überprüfen weil es keine Einheitlichkeit gibt. Und da sind wir bei den großen Herausforderungen, dass eben die Leute eben sehr schwer ihren Familienverbund nachweisen können. Die Botschaft verlangt in der Regel eine überbeglaubigte, staatliche Eheurkunde und vom Standesamt ausgestellte Geburtsurkunden. Allerdings haben die meisten Leute das nicht und das Problem ist, dass man zwar diese Unterlagen nachträglich besorgen kann. Allerdings kann man sie nur besorgen, wenn man sich an den Verfolgerstaat wendet. Das heißt, in Deutschland anerkannte Flüchtlinge müssen bei der eritreischen Botschaft vorsprechen und müssen dort die sogenannte 2%-Steuer zahlen, eine Aufbausteuer auch genannt. Das heißt 2% auf das Einkommen das man hatte seitdem man Eritrea verlassen hat. Dies muss man zahlen um konsularische Dienste in Anspruch nehmen zu können. Zudem müssen sie dafür eine Reueerklärung unterschreiben. Diese besteht daraus, dass man ein Schreiben unterschreibt in dem man sagt, ich habe mit meiner Flucht aus Eritrea eine Straftat begangen, was de facto auch eine Straftat ist, und ich akzeptiere jegliche Strafe, die der eritreische Staat für angemessen hält für den Fall meiner Rückkehr. Das heißt, wenn die Leute dieses Papier unterschreiben ist es ein Freifahrtsschein für die eritreische Diktatur mit den Leuten zu machen was sie wollen. Das heißt dann wenn sie zurückkommen nach Eritrea kommen sie vor das Militärgericht und werden dort verurteilt. Das ist kein Gericht wie man das aus Deutschland kennt, sondern es hat nichts mit rechtsstaatlichen Prinzipen zu tun, es gibt keine Verteidigung, es gibt auch keine richtige Anklage. Es gibt zwar einen Schuldspruch, dass man eben häufig ins Gefängnis gesteckt wird, entweder ins Militärgefängnis, wenn es vor dem Militärgericht passierte, oder eben ins Zivilgefängnis, wenn es eben vor dem Zivilgericht passiert es. Aber es wird auch in der Regel nie gesagt, wie lange man eigentlich ins Gefängnis muss. Das heißt also, dass es sein kann, dass man 6 Monate ins Gefängnis muss. Es gibt aber Leute, und das ist nicht selten der Fall, die über Jahre hinweg ins Gefängnis sind und nicht wissen, wann sie wieder raus kommen. 

Und gerade diese Unterschrift einer Reueerklärung ist aus meiner Sicht unzumutbar. Die Leute sind aus Eritrea vor der Diktatur geflohen und sind in Deutschland als Flüchtling anerkannt. Also sie wurden anerkannt als Flüchtling, weil man sagt sie haben in Eritrea eine Verfolgung erlebt, sie werden auch immer noch verfolgt oder sie haben eine unmenschliche Behandlung erfahren - oder würden sie erfahren, wenn sie zurückkehren müssten. Und wenn man jetzt sagt, die Leute sollen eine Reueerklärung unterschreiben, was eben die deutschen Behörden sagen, das ist zumutbar, sagen diese Behörden eigentlich es ist okay wenn man sich dafür entschuldigt, dass man sich entschieden hat zu fliehen- obwohl die Flucht der einzige wirkliche Weg war, um aus dieser Diktatur zu entkommen. Und das ist aus meiner Sicht ein Riesenproblem, dass man Flüchtlingen zumutet wieder Kontakt zu den Heimatbehörden aufzunehmen, obwohl sie von diesen verfolgt werden. Und das muss aufhören.

 

4. Welche Probleme ergaben sich hinsichtlich des Familiennachzugs in den letzten Jahren?

Es gibt eigentlich zwei große Probleme in den letzten Jahren. Das eine ist, dass die deutschen Behörden von Geflüchteten verlangen, dass Sie Kontakt aufnehmen mit dem Verfolgerstaat. Das zweite große Problem sind die langen Warte- und Bearbeitungszeiten bei den deutschen Auslandsvertretungen. Es ist so, dass aktuell die Wartezeiten auf einen Botschaftstermin bei den Botschaften in Addis Abeba, Khartum und Nairobi, das sind diejenigen Botschaften, die eigentlich am häufigsten besucht werden um dort einen Antrag zu stellen auf Familiennachzug – da beträgt die Wartezeit alleine auf eine Termin 24 Monate. Das heißt, die Leute müssen zwei Jahre auf einen Termin warten. Wenn dann der Termin dann wahrgenommen wurde, dauert es noch ein bis zwei Jahre, manchmal sogar mehr als zwei Jahre, bis die Botschaft sich die Unterlagen angeschaut hat und dann entscheidet. Das heißt, zusätzlich zu der langen Wartezeit, die die Familie sowieso schon durchgemacht hat, kommt noch mal dieser lange Prozess hinzu, wo Menschen voneinander getrennt sind und einfach aufeinander warten.

Allgemein ist es ein Problem, dass Flüchtlinge aus Eritrea nicht in Eritrea, in der deutschen Botschaft in Asmara einen Antrag auf Familiennachzug stellen können, sondern sie müssen dafür ausreisen. Wie schon gesagt, die Ausreise ist illegal. Sie müssen fliehen, die meisten gehen in das Nachbarland Äthiopien oder in den Sudan und stellen dort bei der deutschen Botschaft den Antrag. Das heißt aber sie müssen alles zurücklassen- ihr Haus, ihr Hab und Gut- und müssen sich auf den Weg machen. Sie müssen sich im Nachbarland als Flüchtlinge registrieren lassen und dort in einem Flüchtlingslager leben unter zum Teil katastrophalen Bedingungen. Diese Menschen sind häufig sehr vulnerabel. Häufig werden sie angefeindet von der Zivilbevölkerung, weil sie eben um die knappen Ressourcen konkurrieren. Und gerade in Äthiopien ist die Situation aktuell sehr bedrohlich und sehr fragil im Zuge der Kämpfe in der Tigray -Region. Die Familien haben sehr große Angst und wissen nicht genau was die Zukunft Ihnen in Äthiopien bringt und sie wissen eben auch nicht was die Zukunft in Deutschland bringt, und ob sie überhaupt nach Deutschland kommen dürfen.  

 

5. Hat die Pandemie diese Probleme noch verschärft?

Die Pandemie hat die Situation dahingehend noch verschärft, dass gerade in der Anfangszeit die Botschaften komplett geschlossen hatten. Aus einem sehr verständlichen Grund. Es war gerade am Anfang vor allem ganz unklar, was überhaupt dieser Virus macht und wie dieser Virus wirkt. Und da wurden eben viele Botschaftsmitarbeitende zurückgeordert nach Deutschland, einfach auch um diese zu schützen. Das hat aber dann natürlich dazu geführt, dass die Bearbeitung für einen langen Zeitraum abgebrochen ist. Die Anträge wurden nicht weiterbearbeitet und neue Anträge konnten nicht gestellt werden. Generell gibt es eben schon eine große Personalknappheit, welche sich dann noch einmal verschlimmert hat. Das hat dazu geführt, dass sich die Wartezeiten exorbitant verlängert haben. Zusätzlich ist es so, dass sowohl in Eritrea als auch in den Nachbarländern während der Pandemie auch viele öffentliche Einrichtungen zumindest zeitweise geschlossen hatten, die Internetverbindungen waren viel schlechter, so dass Leute auch nicht so gut kommunizieren konnten, nicht mehr so gut Dokumente austauschen konnten, Dokumente beschaffen und sammeln konnten, die eben wichtig sind für den Familiennachzug. Das war schon gerade am Anfang eine sehr große Herausforderung für die Familien, aber auch für die Botschaften.  

 

6. Wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um?

Ich versuche gelassen mit den Problemen, mit den Herausforderungen umzugehen. Gerade am Anfang der Pandemie ging es darum, dass ich den Leuten eben dann auch erklärt habe, wie die Pandemie wirkt, welche Schwierigkeiten sich daraus ergeben, dass aber auch die Behörden nicht willentlich das hinauszögern, sondern, dass es eben gerade eine Ausnahmesituation ist. Das heißt es ging vor allem gerade darum, den Leuten zu erklären, warum es gerade nicht weitergeht. Dabei habe ich immer versucht beruhigend auf die Leute einzuwirken, weil sie sich natürlich in der Pandemie nochmal viel größere Sorgen gemacht haben um ihre Angehörigen, vor allen Dingen, weil die gesundheitliche Versorgung im Sudan oder in Äthiopien natürlich nicht die gleiche ist wie in Deutschland.

 

7. Was wäre Ihrer Meinung nach auf der administrativen Ebene notwendig um die aktuelle Situation zu verbessern?

Auf der administrativen Ebene ist es aus meiner Sicht wichtig, die Arbeitsabläufe zwischen den beteiligten Behörden, also der Ausländerbehörde, dem Auswärtigen Amt, bzw. den Auslandsvertretungen und, bei subsidiär Schutzberechtigten ist es eben auch noch das Bundesverwaltungsamt, müssten besser verzahnt und vernetzt werden. Aus meiner Sicht muss sichergestellt werden, erstens, dass Personen innerhalb von 6 Wochen einen Termin zur persönlichen Vorsprache bei der Auslandsvertretung erhalten können. Man sieht, dass die Terminvergabe für Visaanträge für andere Aufenthaltszwecke viel viel schneller gehen. Das heißt, dass es aus meiner Sicht möglich ist, auch hier die administrativ die Sachen so zu verändern, dass auch Menschen, die ein Familiennachzugs-Visum beantragen innerhalb von sechs Wochen spätestens einen Termin bekommen. Dann muss die Bearbeitungszeit verkürzt werden und ich sage, dass ein Visa-Antrag innerhalb von drei Monaten entschieden werden muss. Hierfür ist es aus meiner Sicht aus ganz wichtig, das Personal aufzustocken. Das Personal im In- sowie im Ausland. Im Ausland bei den Auslandsvertretungen, im Inland bei den Ausländerbehörden und bei dem Auswärtigen Amt. Es ist beispielsweise auch denkbar, dass einfach Behördenmitarbeitende im Inland die Fälle bearbeiten. Es ist eben so, dass Deutschland aus meiner Sicht eine Verpflichtung hat dem gerecht zu werden, dass so viele Menschen einen Antrag stellen und so muss eben auch der Personalschlüssel aufgestockt werden.

Eine dritte, wichtige Sache ist für mich, dass eine größere Transparenz über den Bearbeitungsstand und generell des Verfahrens herrschen muss. So, dass die Menschen die zu mir kommen häufig frustriert sind weil sie nicht wissen was passiert. Sie warten, man muss sich das vorstellen, zwei Jahre bis sie überhaupt einen Termin bekommen. Sie wissen nicht, was in dieser Zeit passiert. Wurde ihr Antrag vielleicht in dieser Zeit aus Versehen gelöscht, sind sie wirklich noch registriert, bekommen sie dann demnächst einen Termin, sind ihre Kontaktdaten noch aktuell oder wurde da vielleicht irgendetwas falsch aufgenommen? Das können die Leute immer nicht einsehen. Und da muss meines Erachtens eine Transparenz hergestellt werden, dass die Leute dort besser informiert sind. Das gleiche gilt dann aber auch für das Verfahren, wenn dann der Botschaftstermin schon stattgefunden hat, über die Bearbeitung des Visumsantrags. Die Leute wissen häufig nicht, warum es nicht weitergeht. Fehlen Unterlagen? Fehlt eine Unterschrift? Was passiert das gerade? Müssen gerade Unterlagen auf die Echtheit geprüft werden? Und da ist es aus meiner Sicht die Aufgabe der Auslandsvertretung hier noch mal eine größere Klarheit zu schaffen, eine größere Transparenz, wo die Leute dann einfach sehen wie ihr Verfahrensstand gerade ist und ob noch etwas verlangt wird von Ihnen oder nicht. Das ist aus meiner Sicht eine Sache die man relativ schnell umsetzen kann.

 

8. Und was müsste sich politisch ändern? 

Auf politischer Ebene muss aus meiner Sicht ein Wechsel stattfinden von einer Politik der Familientrennung hin zu einer Politik der Familienzusammenführung. Es muss sich die Politik bewusst werden, was für einen zentralen Stellenwert eigentlich die Familie nicht nur in der deutschen Gesellschafft hat, sondern auch in der ausländischen Gesellschaft hat. Wie wichtig es ist für die psycho-Gesundheit, dass Familien zusammenleben und nicht dauerhaft getrennt werden. Aus meiner Sicht gibt es drei große Herausforderungen und Probleme, die die Politik angehen muss. Das ist zum einen die rechtliche Gleichstellung von subsidiär geschützten und anerkannten Flüchtlingen herstellen. Aktuelle ist es so, dass mit dem §36a AufenthG ein eigener Familiennachzugsparagraph eingeführt wurde, für Menschen die einen subsidiären Schutzstatus habe. Hier wurde ein Kontingent von 1000 Nachzugsfällen pro Monat eingeführt und gleichzeitig wurde der rechtliche Anspruch auf Familiennachzug aufgehoben. So ist es jetzt immer eine Ermessensfrage der Behörden, auch wenn das Ermessen hier relativ gering ist, gibt es das eben auch.

Als zweiten Punkt sehe ich, dass die Politik den Anspruch auf Nachzug minderjährigen Geschwistern umsetzen muss. Aktuell ist es nämlich so, dass wenn minderjährige Kinder hier in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt werden, sie kein Recht haben ihre Geschwister nachzuholen, zumindest kein gefestigtes Recht. Und dass bedeutet, dass viele Familien vor der Situation stehen sich entscheiden zu müssen, lassen sie bspw. die Kinder zurück? Dann holt das Kind erstmal nur die Eltern und dann wenn die Eltern hier anerkannt sind, können die Eltern die Geschwister nachholen. Und das muss aus meiner Sicht beendet werden.

Es muss darauf hingearbeitet werden, dass eine eigene gesetzliche Anspruchsgrundlage für den Geschwisternachzug geschaffen wird.   

Und als drittes sollte politisch umgesetzt werden, dass auch Menschen mit einem Abschiebungsverbot leichter den Familiennachzug beantragen können. Auch hier braucht es eine neue gesetzliche Regelung. Aktuell ist es so, dass diese Menschen nur unter sehr, sehr schwierigen Voraussetzungen den Familiennachzug bewerkstelligen können. Der ist eigentlich so gut wie ausgeschlossen. Man sieht immer stärker, dass auch Menschen die hier leben und nur ein Abschiebungsverbot haben lange von ihren Familien getrennt werden, weil sie eben nicht nur auf kurze Dauer nicht abgeschoben werden können, sondern über einen sehr langen Zeitraum. Das sieht man beispielweise bei Menschen aus Afghanistan, wo viele nur ein Abschiebungsverbot zugesprochen bekommen und wo allerdings der Krieg so lange herrscht, dass sich auch auf lange Zeit nichts verändert. Da muss man aus meiner Sicht eine größere Flexibilität herstellen, dass auch diese Familien zusammengeführt werden, dass auch diese Familien in Sicherheit zusammen in Deutschland leben können.

 

 

9. Erzählen Sie mir von Ihren Erfolgserlebnissen

Als asyl- und aufenthaltsrechtlicher Berater ist man immer mit den Schicksalen von ganz vielen unterschiedlichen Menschen konfrontiert. Das ist häufig eine sehr emotional anstrengende, sehr belastende Arbeit. Häufig ist diese auch frustrierend, weil man gegen Wände läuft und eben auch die Gesetzeslage nicht ändern kann und immer gucken muss, wie man in diesem Rahmen den Leuten helfen kann. Aber das Schöne ist eben an der Arbeit auch, dass man immer auch diese positiven Beispiele hat wo etwas funktioniert, wo man merkt ich kann dort etwas bewegen und Leuten helfen. Und diese Erfolgsgeschichten die helfen mir persönlich überhaupt diese Arbeit machen zu können, mich weiter zu motivieren für diese wichtige Arbeit. Beispielsweise habe ich es geschafft, dass eine Familie aus Äthiopien einreisen durfte nach Deutschland. Da war es so, dass der Vater hier in Deutschland als Flüchtling anerkannt war und seine fünfköpfige Familie hat in Äthiopien auf den Familiennachzug gewartet. Der Sohn hatte einen Herzfehler. Ich habe sehr lange mit dem Vater gesprochen, habe ihn darum gebeten mir Unterlagen zu besorgen. Er hat es dann geschafft, dass der Sohn bei einem Herzspezialisten in Addis Abeba vorgesprochen hat, wo er untersucht wurde und eine Diagnose gestellt werden konnte. Ich habe dann diese Unterlagen, CT-Aufnahmen, an einen deutschen Arzt geschickt, der dann, aufgrund dieser Unterlagen ein Gutachten erstellt hat, wo sich herausgestellt hat, dass der Sohn in den nächsten Wochen am Herzen operiert werden muss, ansonsten bestünde die Gefahr, dass er nicht überlebt. Wir haben das dann tatsächlich auch geschafft diese Familie relativ zügig nach Deutschland zu holen, so dass hier die Familie hier zusammengeführt werden konnte und der Sohn hier die Herz-OP hatte

Es gibt aber auch ganz andere Geschichten. So gab es eine Familie aus dem Kosovo die ich vier Jahre lang begleitet habe, bei ihrem Weg zu ihrem Aufenthalt. Wo die Familie gekämpft hat. Gerade bei Familien aus dem Kosovo geht die Anerkennungsquote gegen Null. Die Leute bekommen eigentlich keine Chance hier in Deutschland bleiben zu dürfen, mit einem humanitären Grund.

Die Familie ist aber super integriert gewesen. Der Vater hat schon längere Zeit in Deutschland gelebt, hat auch eine deutsche Tochter die mittlerweile volljährig ist. Er war immer arbeitswillig und wollte immer seinen Beitrag zur deutschen Gesellschaft leisten. Die ganze Familie hat jetzt mittlerweile einen Aufenthalt. Der jüngste Sohn  geht zur Schule, die beiden Ältesten machen eine Ausbildung. Und auch die Eltern konnten jetzt einen Aufenthalt bekommen über die Härtefallkommission, mit der ich sehr eng zusammengearbeitet habe. Mittlerweile finanziert die Familie ihren Lebensunterhalt selber, wobei sie zuvor ein Arbeitsverbot hatte und auf Sozialleistungen angewiesen war. Das ist schon verrückt, dass Menschen in die Sozialhilfe getrieben werden, obwohl sie arbeiten wollen. Ein Erfolgserlebnis war auch die Begleitung eines jungen Mannes aus Guinea, der, als er zu mir gekommen ist, sehr starke psychische Probleme hatte. Ich konnte ihn an eine psychosoziale Einrichtung vermitteln, wo er Therapie und medikamentös eingestellt wurde. Dadurch konnte er sich wieder auf die eigentlichen Ziele in seinem Leben konzentrieren. Am Anfang war er sehr fahrig, sehr abwesend und schwer zugänglich. Mittlerweile hat er einen Ausbildungsplatz und darüber eine Ausbildungsduldung bekommen. Das heißt er darf in Deutschland bleiben, darf die Ausbildung machen und ja, ist zu einem wichtigen Teil der deutschen Gesellschaft geworden.

Das sind einfach schöne Beispiele wo ich merke, dass meine Arbeit einen Einfluss hat und ich kann tatsächlich etwas bewegen. Und das ist auf jeden Fall immer sehr schön und bestärkt mich in meiner Arbeit, einer wichtigen Arbeit, die auch fortgesetzt werden muss – auch in den nächsten Jahren.

 

 

10. Was stärkt Sie bei Ihrer überaus wichtigen Arbeit?

Mich stärken in erster Linie der gute Zusammenhalt und die gute Zusammenarbeit in meinem Team. Also ein Team zu haben, wo man sich auf jedes einzelne Teammitglied verlassen kann, wo man auch immer wieder ein offenes Ohr hat, wo man kollegial Fragen besprechen kann. Das ist enorm wichtig, vor allem auch in dieser emotionalen Arbeit. Und natürlich ein gutes familiäres Umfeld. Auch ein sicherer Freundeskreis, der mir Halt gibt und immer wieder die Möglichkeit auch mal rauszugehen. Und das ist meines Erachtens auch das Wichtige bei der Arbeit auch mal abschalten zu können. Das habe ich am Anfang nicht sehr gut hinbekommen, weil es eben sehr viele kleine Geschichten sind die einen noch lange mitnehmen. Es einfach zu schaffen, Ablenkung zu haben, was Schönes zu machen, an andere Sachen zu denken, dass hilft mir enorm diese Arbeit überhaupt machen zu können. Eben nicht nur auf die Arbeit zu gucken, obwohl sie so wichtig ist, sondern eben auch die Arbeit auf der Arbeit lassen zu können.

Das alles stärkt mich für die Arbeit, die eigentlich so wichtig ist. Bei der es um die Beratung Menschen geht, die häufig nicht so privilegiert sind wie ich selber. Die sich nicht auskennen mit dem deutschen Rechtssystem, die die Sprache nicht beherrschen. Und das ist aus meiner Sicht die Aufgabe von uns, als Gesellschaft, diesen Menschen die geflohen sind eine neue Heimat zu geben und einen neuen Halt. Denn nur wenn sie diesen Halt auch bekommen, können sie langfristig ein fester Bestandteil von dieser Gesellschaft werden. Und auf diese Gesellschaft auch positiv einwirken, diese positiv beeinflussen. Das ist glaube ich so meine Motivation auch hinter der Arbeit, warum ich denke, dass es so eine wichtige Arbeit ist.

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