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24.10.2019 | Artikel

„Und plötzlich konnte ich nicht mehr…“- Seelische Belastungen erkennen und sich Hilfe holen.

Von: Dipl.-Psych.Imke Wolf/Gudula Wolf

 

Manchmal weiß Maria schon morgens nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Ihre beiden Kinder haben Probleme in der Schule, der Hund muss regelmäßig zum Tierarzt, ihr Mann möchte mehr Zeit mit ihr verbringen und ihr Chef in der Firma hat eine Extra-Aufgabe für sie.

Seitdem, nach einem Schlaganfall, ihre pflegebedürftige Mutter nun bei ihr wohnt und täglich viel Aufmerksamkeit und Fürsorge von ihr benötigt, wird ihr langsam alles zu viel. Dabei möchte sie wirklich für alle da sein! Jeden Tag ist aber so viel zu erledigen und an so viel zu denken. In all dem Chaos hat sie neulich plötzlich einmal vergessen, ihren jüngsten Sohn aus der Kita abzuholen. Sie darf gar nicht daran denken, wenn sie mal die Tabletten für ihre Mutter vergessen würde. Das wäre richtig schlimm. Ihr Tag müsste 48 Stunden haben, sonst hält sie das nicht lange durch, befürchtet sie.  

 

Angehörige pflegen

Einen pflegebedürftigen Menschen zu Hause zu betreuen, ist eine schwere Aufgabe. Sie kostet viel körperliche und noch mehr seelische Kraft. Viele pflegende Angehörige unterschätzen zu Anfang leicht, wie anstrengend die Arbeit ist. Und je weiter die Bedürftigkeit des Erkrankten fortschreitet, desto mehr Aufgaben sind zu bewältigen. Zeit wird immer knapper, das eigene Leben kommt zu kurz. Vielfach gestehen sich pflegende Angehörige erst sehr spät ein, dass sie überfordert sind. Manchmal erst dann, wenn sie von andauernder Erschöpfung selbst krank werden. Seelische Belastungen sind nicht harmloser als körperliche. Aber wer geht schon zum Arzt, weil er auf gar nichts mehr Lust hat oder sich immer wieder mit den gleichen düsteren Gedanken rumplagt. Dass dahinter eine ernst zu nehmende seelische Belastung stecken könnte, wird meistens nicht wahrgenommen. Besonders pflegende Angehörige sind hohem seelischen Druck ausgesetzt.

 

Körper und Seele senden Warnsignale

Die Anzeichen seelischer Belastungen werden von den Betroffenen meistens nicht erkannt. Warnsignale einer seelischen Überforderung zeigen sich oftmals erst einmal auf der körperlichen Ebene beispielsweise mit Schlafstörungen, Verspannungen, Ohrensausen, Appetitlosigkeit, Herzrasen oder häufigen Erkältungen. Wenn die Seele dauerhaft leidet, kann sich das unter anderem auch durch innere Unruhe, Ungeduld, Gereiztheit und Ärger zeigen. Auch Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit, Weinen, ein Erleben innerer Leere, Grübeln und Gedankenkreisen müssen sehr ernst genommen werden, auch sie sind oftmals Zeichen von andauernder Überforderung und seelischem Stress.

 

Eigene Balance finden

Die dauerhafte Pflege eines Angehörigen – besonders wenn sie neben den Anforderungen des beruflichen und privaten Alltags geleistet wird – kann also Stress auslösen, der auf Dauer seelisch krank macht. Dies umso eher, je stärker die eigene Erholung vernachlässigt wird. Für pflegende Angehörige ist es daher notwendig, beizeiten eine Balance zwischen ihren eigenen Wünschen und denen des Pflegebedürftigen zu finden. Ein völlig erschöpfter und gestresster pflegender Angehöriger kann keine optimale Betreuung leisten. Wenn ein Angehöriger in einer solchen Situation nicht mehr erkennt, wie er selbst an der Situation noch etwas ändern könnte und darüber verzweifelt, sollte er sich selbst umgehend professionelle Hilfe und Beratung holen.

 

Hilfe finden für die belastete Seele

Angehörige mit seelischen Belastungen können sich zum Beispiel an Seelsorge- und Krisentelefone, an ärztliche oder psychologische Psychotherapeut*innen oder auch an Familien- und Lebensberatungsstellen wenden. Solche professionellen Entlastungsangebote bieten Ratsuchenden viel Raum und Zeit zum zwischenmenschlichen Austausch. Im Gegensatz zur allgemeinen Pflegeberatung steht hier nicht die Informationsvermittlung im Vordergrund, sondern die persönliche Begegnung mit einem anteilnehmenden Menschen. Die professionelle Begleitung erfolgt dabei ganz individuell, neutral und grundlegend verständnisvoll.

In einer psychologischen Beratung bzw. in einer Psychotherapie wird am Anfang der Anlass der Beratung erfragt und es werden die Erwartungen und Wünsche der Angehörigen geklärt. Die Beratenden geben viel Anerkennung und interessieren sich sehr für die persönliche Situation der Ratsuchenden. Es wird dann gemeinsam nach Lösungen gesucht, wie die seelische Belastung und damit der psychische Stress in der Pflegesituation reduziert werden könnte. Weiterhin werden zusammen neue Ideen entwickelt, wie vielleicht eine Veränderung der Lebensumstände erfolgen könnte. Auch geben die Helfenden viele Informationen zum Thema Selbstfürsorge und machen Angebote zur Stressbewältigung. In der Beratung bzw. in der Psychotherapie werden die Angehörigen dann zur Veränderung eingeladen und in ihrem neuen Lösungsverhalten begleitet und bestärkt, bis sie wieder seelisch gefestigt sind.

 

Weitere Fragen? Nutzen Sie den Expertenchat zum Thema.

Am 31. Oktober 2019 findet in der Zeit von 10:00 bis 11:30 Uhr ein Expertenchat zum Thema „Angst, Stress und Sorgen im häuslichen Pflegealltag- Umgang mit Belastungen“ statt. Interessierte und betroffene Personen können sich mit einer Diplom Psychologin der Online-Beratung (pflegen-und-leben.de) in einem Chat austauschen.

Treten Sie hier dem Expertenchat bei.

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